Eine Olivenernte: Auspressen der Oliven

Olive oil dropping

 

8. Sonntag

Heute ist letzter Erntetag. Mir kommt es vor, als  hätten wir erst gestern  mit unserer Arbeit begonnen. Habe ich schon erwähnt, dass ich an keinem der letzten sieben Sonntage das Privileg hatte,  auf einen Olivenbaum zu klettern? Diese frustrierende Tatsache hat meine Determination erheblich gestärkt. Deshalb habe ich mir selbst versprochen,  diese Ernte nicht zu beenden, ohne dort oben, zwischen den Zweigen,  den Wind rauschen gehört zu haben, und zu spüren, wie er  mein Haar zerzaust.

 

Gathering olives

 

Ich wäge verschiedene Erklärungen ab, die es mir gestatten könnten ans Ziel zu kommen. „Heute ist der letzte Erntetag, weshalb es mir von Rechts wegen zusteht. Auf Eine Olivenbaum zu klettern.“  „Denkt ihr wirklich, dass ich die Geschichte des Gentlemans glaube, der das schwache Geschlecht vor einem Sturz beschützen will.”

 

Red plastic containers with olives

 


Am Ende entscheide ich mich für einen schlichten Satz, dessen Wirkung einem kleinen Wunder gleichkommt. “Meine Herren, ich habe nicht vor, mich nächstes Jahr zur Olivenernte zu melden, wenn ich heute nicht in einen Olivenbaum steigen kann“. 
Der Wind hat mein Haar nicht zerzaust, weil es kalt war und ich eine Mütze aufhatte. Nichtsdestotrotz bin ich doch da oben, im Baumwipfel gewesen und ich habe das Rauschen des Windes gehört. Was ich über diese Erfahrung denke ist nicht schwer zu erraten: dieser  und keiner ist mein zukünftiger  Arbeitsplatz!

 

Olive nets piled up

 


Es sind nur noch einige wenige Bäume übrig, die darauf warten, abgeerntet zu werden. Ein Mitglied unserer Gruppe kümmert sich um die Oliven,  die 
ichoben vom Baum auf die Netze fallen lasse. Ein anderer Erntehelfer ist damit beschäftigt,  die Netze, die sich unter den leeren Bäumen befinden, zusammenzurollen. Zuerst allerdings säubert er sie von Blättern und kleinen Zweigen, manchmal auch einem Stück Baumrinde oder einem Stein. Er sammelt auch die leeren Kisten und Körbe ein sowie die Arbeitsgeräte, die wir nicht mehr brauchen. Sie werden alle in einer kleinen Hütte verstaut, in der Alles bis zur nächsten Ernte sicher aufbewahrt werden kann.

 

Old Tuscan oil mill
Nel paesaggio del vino e dell’olio, Camera di Commercio, Lucca, 2004

 


Wir müssen uns beeilen, denn in der Ölmühle warten sie schon auf die Oliven. Es ist der letzte freie Platz den der Besitzer des Olivenhains ergattern konnte.  Glücklicherweise fragt er mich, ob ich mir ansehen möchte,  was in einer Ölmühle so vor sich geht. Ich bin etwas misstrauisch, weil ich nicht weiß, ob ich wegen meines kurz vorher errungenen Sieges mit Vergeltungsmaßnahmen rechnen muss. Trotzdem nehme ich an, auch wenn ich, ehrlich gesagt, etwas enttäuscht bin. Alle haben mir von den alten Ölmühlen und der traditionellen Arbeitsweise vorgeschwärmt. Die kann ich jedoch nicht verfolgen, weil der Besitzer des Olivenhains seine Oliven – die sich auch ein wenig wie meine anfühlen– in eine neue Ölmühle bringt. Dort sind die herkömmlichen Gerätschaften durch moderne ersetzt worden und der ganze Arbeitsprozess erfolgt vollautomatisch. Wir sehen nur wie die Oliven von einer gefräßigen Maschine verschlungen werden, die später einfach das Öl herausfließen  lässt. Das ist vielleicht etwas übertrieben, denn Etwas sieht man, aber eben nur sehr wenig, verglichen mit der traditionellen Arbeitsweise.

 

Olive oil container
Vivere e lavorare in campagna, Edizioni del Baldo, Castelnuovo del Garda, 2015

 

Aber ich war voreilig: zum besseren Verstehen müssen wir einen Schritt zurückgehen.  Alle, die an der Ernte teilgenommen haben, sind darum bemüht gewesen, die kleinen Steinfrüchte auf die bestmöglichste Art zu ernten. Sie haben gewusst, dass die Dauer des Transportes vom Olivenhain zur Ölmühle von entscheidender Wichtigkeit ist. Die Oliven müssen nämlich so schnell wie möglich angeliefert werden. Sie sollten innerhalb vierundzwanzig Stunden nach der Ernte verarbeitet werden dürfen – acht Stunden wären  ideal.

 

 

Wir haben auch sehr darauf geachtet,  nicht zu viele Oliven auf einmal in den Kisten aufzuhäufen. Dies damit ihr eigenes Gewicht sie nicht zerdrückt,  was Schimmelbildung zur Folge gehabt hätte. Das Fehlen ausreichender Durchlüftung hätte eine beginnende Fermentation  begünstigt –   sicheres Grab für Geschmack und Duft des zukünftigen Öles. Sobald  die Oliven in der traditionellen oder modernen Ölmühle ankommen, werden sie von Zweigen, Holzstückchen, Steinen und anderen Fremdkörpern befreit. In unserem Fall ist das überflüssig, weil unsere Oliven so sauber ankommen, dass wir uns fast in ihnen spiegeln können. Sobald sie unter  fließendem Wasser gewaschen sind können sie ausgepresst werden.

 

 

Das bedeutet, dass das Fruchtfleisch und die Kerne durch ein energisches Verfahren zerrissen bzw. zerquetscht werden. Dies geschieht entweder mit einem Mühlstein in Form von Steinrädern oder mit  den Hämmern bzw. Scheiben der modernen Ölmühlen. Auf diese Weise erhält man eine aus zerkleinertem Fruchtfleisch und zertrümmerten Kernen bestehende Masse. Sie hat eine entwässernde Funktion, weil sie die Trennung des flüssigen Teils  vom Festen erleichtert. Der  sich bildende, halbfeste Brei wird  in Mischmaschinen langsam aber laufend gemischt. Dies begünstigt die Aufspaltung der sich während des Malens gebildeten Wasser-Öl-Emulsion. Die Sammlung der Öltropfen in immer größeren Tropfen sorgt für eine leichtere Trennung vom Fruchtwasser.

Diese  Produktionsphase ist seit Jahrhunderten die Gleiche geblieben. Lediglich die  Arbeitsgeräte, die früher aus Granit und Holz bestanden, sind heute aus rostfreiem Stahl.  Wenn sich der ölige Brei vom Fruchtwasser getrennt hat, erfolgt das eigentliche Auspressen, das zur endgültigen Aufteilung der Masse  in  Trester,  Fruchtwasser und Öl führt. Es kann entweder durch kontinuierliche oder durch  diskontinuierliche Verarbeitung erreicht werden.

 

Freshly pressed olive oil

 

Beim  diskontinuierlichen Prozess erfolgt die Extraktion durch mechanische Auspressung. Die Masse wird auf Scheiben, die sogenannten Pressmatten, gestrichen.  Früher bestanden sie aus Kokosfaser, während sie heute fast ausschließlich aus synthetischem Material wie Nylon sind. Sie werden nach und nach unter der Presse aufeinander gestapelt, wobei der Druck langsam zunimmt. Nach etwa einer Stunde sickert eine ölige Flüssigkeit, der sogenannte  Ölmost, aus aus.Der feste Teil, der am Ende der Pressung an den Scheiben haften bleibt, ist der Trester. Bei der kontinuierlichen Methode  erreicht man die Trennung des Öls vom Brei durch praktische Anwendung physikalischer Gesetze.  Die Ölmühle, die unsere Oliven auspresst, arbeitet z.B. mit dem Schleuderprinzip. Sie nutzt das unterschiedliche, spezifische Gewicht der einzelnen Komponenten, was zuerst zur Trennung des Tresters vom flüssigen Teil führt,  und dann zur Trennung der öligen Komponente vom Fruchtwasser.

Frisch gepresstes Öl ist unabhängig vom Pressverfahren  trüb, enthält Wasser- sowie Pressrückstände,  Luftbläschen, Schwebstoffe und  Bodensatz. Damit sich diese Rückstände   absetzen können, wird es einige Tage lang an einem kühlen, dunklen Ort gelagert. Schließlich kann das qualitativ hochwertige Endprodukt, reich an Chlorophyll und Polyphenolen dann in Flaschen abgefüllt werden. Manchmal wird es vorher noch raffiniert, wodurch es einen schönen, durchsichtigen Glanz erhält. Früher verwendete man dazu Baumwolle, heute arbeitet man mit Kartonfiltern. Das Öl wird so fast geruchlos, hitzestabiler als Rohöl und geschmacksneutral. Alle  Schadstoffe sind entfernt und es bleiben praktisch nur die Fettstoffe übrig.

 

Olive oil bottle
Vivere e lavorare in campagna, Edizioni del Baldo, Castelnuovo del Garda, 2015

 

„Qualifizierte Olivenölprüfer“, erklärt uns der Besitzer der Ölmühle, „schmecken eindeutig den Unterschied zwischen kontinuierlich oder diskontinuierlich hergestellten Olivenöl“. Das erinnert mich an unsere Verkostung und ich komme mir fast, aber nur fast dumm und unwissend vor. Die durchschnittliche Produktion eines typischen, toskanischen Olivenölbaumes liegt bei fünf bis sieben Kilogramm, die etwa einen Liter Öl ergeben. Der Grund für dieses karge Ernteresultat, dass das Öl so teuer macht, sind übrigens die toskanischen Olivensorten. (Frantoio, Leccino, Moraiolo, Pendolino…)

 

Young man

 

Neben der Ölmühle befindet sich ein Raum mit Tischen, Stühlen und einer  offenen Feuerstelle. Auf ihr werden Schweinekoteletten, Kartoffeln, gekochte Bohnen und andere, typisch toskanische Gerichte zubereitet, deren Geschmack durch Beigabe von reichlich Olivenöl hervorgehoben  wird. Dies ermöglicht es natürlich auch, die Qualität des frisch gepressten Öls sofort zu beurteilen.

Wenn der gesamte Arbeitsprozess beendet ist und  das Öl endlich herausfließt, warten schon geröstete Brotscheiben darauf, mit dem Resultat unserer Arbeit großzügig  beträufelt zu werden. Wir sind nicht unparteiisch, könnten es nicht sein. Was die Augen erfreut, in die Nase steigt und den Gaumen verwöhnt ist authentische, mediterrane Geschichte. Zwischenmenschliche Beziehungen, harte Arbeit und Mühe, Zusammenleben von Kulturen und Generationen, tiefes Bewusstsein, derselben Welt anzugehören. Könnte es nicht sein, dass dies das wirkliche Geschenk der Athena an die Menschen gewesen ist?

 

Dove carrying olive sprig
Premio Silvia dell’Orso, 2016

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