Zu den Romecchio Gipfeln


Abgesehen von den letzten zwei, drei Tagen waren die hohen Temperaturen in der Toskana, wie diesen Sommer übrigens überall, wirklich schwer zu ertragen. Sogar Stefano Pucci, einer der erfahrensten Bergführer der Apuanischen Alpen und immer bereit, uns die Besonderheiten der Gegend zu zeigen, hatte die Wanderungen wegen der Hitze ausgesetzt.

 

 

Als er Ende Juli endlich beschlossen  wilder in die Berge zu gehen, erschienen etwa zehn Leute, darunter ich mit meinem Hund, pünktlich in Ponte a Mariano, wo wir uns gewöhnlich treffen. Die angegebene Zeit, acht Uhr morgens, war mehr als akzeptabel.

 

 

Unser Ziel waren die beiden Gipfel des Berges Romecchio im toskanisch emilianischen Apennin auf 1784 Meter Höhe, wo wir auf der einen Seite die Toskana hätten bewundern können und auf der anderen Emilien. Zudem würden wir ein paar Stunden in der angenehmen Kühle des Berges verbringen können, auf die wir uns alle freuten.

 


Auf unserer Wanderung wären wir ein Stück weit auf der sogenannten Ruderstraße entlang gegangen. Heute ist sie nur noch ein Wanderweg wie viele andere. Vor einigen hundert Jahren hingegen war die Straße wichtig, um Tannen und Fichten aus den Bergen um Pistoia ins Tal zu transportieren und dann weiter nach Pisa. Vor allem in Abetone, früher unter dem Namen Boscolungo bekannt, gab es jahrhundertalte Riesen mit langen, geraden Stämmen, die sich ideal für den Bau von Schiffsmasten und Ruder für Galeeren eigneten.

 


Nach einer etwa einstündigen Autofahrt erreichten wir die Berghütte Giovanni Santi alla Vetricia und waren bereit loszuwandern. Es ist ein bisschen wie im Leben, besser man weiß nicht was so alles geschehen wird. In etwa das Gleiche galt auch für die Wanderung, die vor uns lag. Nach etwa zwanzig Metern kamen wir an eine einfache Treppe die nach fünf oder sechs Stufen auf einen relativ breiten, aber so steilen Bergweg führte, dass wir das Gefühl hatten nach hinten zu fallen wenn wir nicht nach vorne gebeugt gelaufen wären.

 

 

Das Unangenehme, wenn es schon am Anfang sofort bergauf geht – was ich eigentlich als Plackerei bezeichnen würde – ist der noch kurze Atem und die kalten Muskeln. Das Tröstliche, daß gemeinsames Leiden das Ganze erträglicher macht. Der einzige Moment, der in einigen von uns (bei mir zum Beispiel) einen gewissen, sagen wir Neid, hätte aufkommen lassen können, war die Tatsache, dass unser Weg mehrmals bedenkenlos per Auto befahrbare Straßen überquerte. Hätten wir nicht weiter oben parken können? Wie bitte? Was denke ich denn da? Nein. Echte Wanderer scheuen vor nichts zurück.

 

 

Auf unserem Pfad durch den Wald kamen wir an Holzfällern, Jägern mit ihren Hunden und sogar an Pilzsuchern vorbei. Die Letzteren scheinen über unsere Anwesenheit nicht besonders glücklich gewesen zu sein. Klar, sie hatten Angst, dass wir und nicht sie die Köstlichkeiten aus dem Wald nach Hause tragen würden. Dann kamen wir an Wiesen mit kräftigen Grasbüscheln vorbei, denen man ansah, dass sie an raues Klima gewöhnt waren und auch an winzigen weißen und hellrosa verblassten Blüten, so als ob der Wind ihre Farbe weggepustet hätte. Es folgten Wachholderbüsche die nieder wuchsen, um dem ständigen Wind besser standhalten zu können und dann öffnete sich vor uns ein Meer aus Heidelbeerstauden, die mich an meine Kindheit erinnerten. Sonnenwarme Beeren, gesammelt und einfach so in den Mund gesteckt, gehören zu meinen schönsten Erinnerungen.

 


Wer wie ich dachte, dass es dort oben nur uns und den Wanderweg gibt, der auf die zwei  Gipfel des Romecchio führt, lag völlig falsch. Rund um uns herum kreuzten sich nämlich Pfade wie lange Schnüre in alle Richtungen. Schilder mit der Aufschrift Passarella Colle alle Vacche, Passo del Terzino, San Pellegrino in Alpe oder Lago Santo, um nur einige aufzuzählen, ließen uns an eine Art „Wanderknotenpunkt“ denken, der jedem Bergliebhaber das Herz hätte höher schlagen lassen. Tatsächlich kam uns eine grosse Wandergruppe aus Varese entgegen, die vom Lago Santo kommend auf dem Weg nach San Pellegrino in Alpe waren. Natürlich fehlten auch keine Fahrradfans, denn da war tatsächlich ein junger Mann der keine Mühe gescheut hatte, um die frische Luft und die herrliche Aussicht von hier oben in vollen Zügen zu genießen.

 


In der Zwischenzeit haben wir unsere Wanderung mit nicht allzu schnellem, aber doch entschlossenem Schritt fortgesetzt. Nach ungefähr einer halben Stunde sind wir an einem winzigen mit Gras bedeckten Fleckchen angekommen der gut vom Wind geschützt war. Von hier konnten wir mehr oder weniger gemütlich sitzend  auf der rechten Seite die Felder und Wiesen von Emilien bewundern, die dem berühmten Parmigiano Reggiano (Parmesankäse) den  so besonderen Geschmack verleihen.

 


 

Obwohl  uns nur noch ein Steinwurf von den beiden Gipfeln trennte, der Weg dorthin aber schwierig aussah, hatten es einige Mitglieder der Gruppe vorgezogen, dort wo wir waren zu bleiben und auf uns zu warten. Die restlichen Bergsteiger hingegen hatten endlich die Chance herauszufinden aus welchem Holz sie geschnitzt sind, denn es war nicht nur diese, alles in allem, kurze Strecke auf Felsen und Geröll, die uns beunruhigte, sondern auch das für uns ungewöhnliche Wechseln des Wetters. Wolken und Nebel bewegten sich nämlich so schnell, dass die Temperatur innerhalb von Sekunden unter zwanzig Grad fiel und dann mit der gleichen Geschwindigkeit auf über dreißig stieg, sobald die Sonne wieder schien. Unglaublich.

 



 

Die Eroberung des letzten der beiden Gipfel hat uns stolz gemacht und der Blick auf die Welt um uns herum war wirklich atemberaubend. Wir hatten aber auch Hunger und auf einem  kleinen, windgeschützten Platz genossen wir das wohlverdiente Mittagessen. Ich hätte für immer dort oben bleiben können, an diesem stillen Ort, wo die Zeit nicht zu existieren scheint und wo die große Ruhe zu einem tiefen, inneren Wohlbefinden führt. Leider unterbrach eine riesige, sich schnell nähernde graue Wolkenwand die Idylle, weshalb wir Jacken und Rucksäcke einsammelten und ohne unnötige Zeit zu verlieren zuerst zu den Leuten herunterstiegen, die weiter unten auf uns gewartet hatten, um schließlich nach etwa einer Stunde auf unsere Autos zu stoßen.

 


Die Wanderung dauerte den ganzen Tag und doch hatten wir nur sieben oder acht Kilometer zurückgelegt. Die waren aber allerdings so intensiv, dass ich nach drei Tagen immer noch Muskelkater habe. Es kommt mir so vor als würde es meinem Hund genauso gehen, denn er liegt die meiste Zeit auf seinem Kissen und schläft.  Trotzdem sind wir  beide schon jetzt bereit für den nächsten Ausflug. Er, weil er nach über zehn Jahren endlich seine wahre Berufung gefunden zu haben scheint, d.h. unseren Bergführer zu begleiten ohne sich von irgend etwas ablenken zu lassen (auch wenn ihn genau genommen niemand darum gebeten hat). Ich, weil mich das Bergsteigen glücklich macht.

 

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2 Comments

  1. Ruth Recher

    Ich freue mich jedesmal wenn wieder so ein lebendiger Bericht mit super Fotos hereinschneit. Von wo und wann kommt der nächste ?? Super, vielen Dank dass ich mit den Augen dabei sein kann !

    1. Agnese

      Ich achreibe einfach über das was war…

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