Am Fuß des Pisanino Berges


Was tun in der Toskana am Wochenende, wenn man sich die Beine vertreten will und glaubt in diskreter körperlicher Form zu sein? Natürlich raus in die Natur. Allerdings nicht ans Meer oder auf einen Hügel hinauflaufen. Viel zu einfach. Mir schwebten eher die apuanischen Alpen vor. Für diejenigen, die es nicht wissen, es handelt sich um eine Bergkette im Nordwesten der Toskana, der Teil des Alpidischen Gebirgssystems ist. Zu den wichtigsten Bergen zählen Forato, Sagro, Tamburo, Pisanino sowie der Pania della Croce. Für einen Sonntagswanderer ist es vernünftigerweise kaum machbar auf ihre Gipfel zu klettern, aber an den Fuß des einen oder anderen zu gelangen, könnte ein erreichbares Ziel sein.

 

 

 

Um den Sonntag voll zu genießen, brauchten wir einen guten Bergführer  (den wir hatten), fröhliche Wanderer und gutes Wetter, was bedeutet keine zu hohe Temperaturen oder plötzlicher Regen. Wir, drei Freunde und ein Hund, hätten unseren Teil dazu beigetragen, damit der Tag inmitten der Natur fröhlich und unbeschwert geworden wäre.

 

 

 

Der Ausflug sollte von der alten Kirche von Gorfigliano ausgehen, nicht weit vom Dorf Gramolazzo in der Provinz Lucca. Dort wurde im neunzehnten Jahrhundert ein künstlicher See angelegt, der den gleichen Namen trägt. Das Ziel waren die alten Weiden am Fuße des Berges Pisanino, die vor Jahrzehnten im Sommer von Hirten besucht wurden.

 

 

Ich weiß nicht, ob der irgendwie irreführende Name des Berges, Pisanino,  der sich wegen der Nachsilbe „ino“ wie ein Kosenamen liest, ähnlich dem  „Winzling“ oder dem „Liebchen“, uns zu der Annahme geführt hat, dass wir einfach spazieren oder allenfalls wandern gehen würden. Es kann auch sein, dass die Blumen und Kräuter entlang der ersten zwei, drei Kilometer zusammen mit den Erklärungen des Führers zur ihrem Verwendungszweck jedes Warnsignal gedämpft haben. Auch der Laburnum oder Goldrausch war dort, neben dem Weg, mit seinen wunderschönen gelben Blumen in hängenden Trauben, um uns willkommen zu heißen. Tatsache ist, dass wir dachten, wir würden in der angenehmen Wärme einer sanften Sonne auf einem ebenso wohlwollenden Weg ans Ziel kommen.

 


Nachdem wir die letzten Fotos vom Pisanino mit den gut sichtbaren grünen Weiden, die wir erreichen wollten, geschossen hatten empfahl uns der Bergführer unsere Hände im Kreis auf einen großen Stein zu legen. Auf diese Weise hätten wir Kontakt mit dem Berg vor uns aufnehmen können.  Danach betraten wir einen riesigen Buchenwald, der in uns erste Zweifel aufkommen ließ. Könnte es sein dass es sich, wie vom Bergführer angegeben, effektiv um eine Bergtour handelte? Beunruhigender Gedanke.

 

 

 


Die Buchen waren wirklich sehr hoch und erzeugten einen fast undurchdringlichen Schatten. Nur hier und da fand ein schüchterner Sonnenstrahl seinen Weg und warf auf einen Zweig oder einen Stamm etwas Licht. Während das Zwitschern der Vögel Teil der Geräusche des Waldes selbst war, dröhnten unsere Stimmen fast. In der Stille und dem Frieden schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Die Atmosphäre erregte ich weiß nicht so recht was in uns, aber wir hatten das Gefühl, an einem Ort zu sein zu sein, an dem  wir vielleicht nicht hätten sein sollen, es sei denn wir würden ihm tiefen Respekt entgegenbringen.

 


Nach ein paar hundert Metern verließ der Führer den beruhigenden Feldweg, um einen wirklich steilen Pfad zu besteigen. Es ist richtig, dass wir auf einem weichen Teppich aus Blättern gelaufen sind, aber es ist auch wahr, dass er so dick war, dass unsere Füße fast in ihm versunken ist. Es war fast wie am Meer auf nassem Sand laufen, was jeden einzelnen Schritt schwierig macht.

 

 

Von Zeit zu Zeit mussten wir über einen heruntergefallenen Baum klettern oder unter ihm durchkriechen. Dabei versuchten wir, hinter dem Führer auf dem Zick-Zack-Pfad zu bleiben, der sich immer weiter nach oben schlängelte. Irgendwann muss ein Mitglied der Gruppe mit dem Gedanken gespielt haben zurückzugehen. Unser Bergführer erklärte uns nämlich ausführlich wo wir waren und erinnerte uns daran, in welche Richtung wir gehen müssten, wenn der eine oder andere sich für die Rückkehr zum Auto entschieden hätte.

 

 


Die vielen Steinmänner auf dem Weg gaben uns Kraft, denn sie waren ein klares Zeugnis dafür, wie viele Menschen vor uns vorbeigekommen waren und ein Andenken hinterlassen wollten, indem sie den Steinhaufen einen Stein hinzufügten. Wir würden keinesfalls aufgeben! Erst beim Abstieg erfuhren wir, dass sie der Führer selbst aufgestellt hatte, um den sichersten Weg anzuzeigen … In der Tat, während es uns schien, einfach mitten im Wald zu laufen, waren wir in Wirklichkeit auf einem echten Pfad, der allerdings nur erfahrenen Augen sichtbar war.

 

 


Kurz gesagt, am Ende, mehr oder weniger außer Atem, erreichten wir das Ende des Waldes und befanden uns direkt am Fuße des Pisanino mit den Bäumen und Weiden, die wir einige Stunden zuvor aus der Ferne fotografiert hatten. Mutter Natur ist es gelungen eine eindrucksvolle und friedliche Ecke zu schaffen, wobei sie alle Grüntöne, die Farbe der Ruhe und des Gleichgewichts, des Optimismus und der Hoffnung, des Lebens selbst verwendete.

 


Ein paar rosa Pinselstriche dank wilder Pfingstrosen, die hinter einem großen Felsbrocken versteckt waren, rundeten dieses unerwartete, aber wirklich eindrucksvolle Bild ab.

 


Dann, Gott sei Dank, war es Zeit zu essen. Jeder hatte ohne schlechtes Gewissen das mitgebracht, was ihm am besten schmeckt. Wir hätten auf dem Rückweg sicher genug Gelegenheit gehabt, die Extrakalorien zu verbrennen. Und so war es, denn es hat sich herausgestellt dass der Abstieg ebenso wenn nicht noch kräftezehrender war wie der Aufstieg. Ausrutscher auf dem feuchtem Boden waren nicht vermeidbar und uns war klar wie leicht es sein würde, hinzufallen. So war es denn auch. Ein Teilnehmer (ich), ist auf dem weichen Teppich aus Blättern gestürzt was aber irgendwie ganz harmlos aussah. War es aber nur mitnichten.

 

 

Der restliche Rückweg fand reibungslos statt, bis auf ein Gewitter, das sich ziemlich bedrohlich hinter unserem Rücken näherte. Obwohl wir wirklich müde waren, haben wir uns dazu entschlossen wesentlich schneller zu gehen und nachdem wir uns von den Blumen und Bäumen verabschiedet hatten, kamen wir rechtzeitig bei den Autos an. Die ersten Tropfen fielen, als wir bereits vom Berg herunterfuhren.

 


Was uns die Wanderung gegeben hat? Was der Rest der Gruppe denkt, weiß ich nicht. Ich bin froh, dass ich meine körperliche Ausdauer weit nach vorne geschoben habe. Die apuanischen Alpen machen mir nicht mehr so viel Angst wie früher. Ich habe viel Gelassenheit und Ruhe mit nach Hause genommen. Mein Hund war glücklich,  dass er den Tag mit uns verbringen durfte. Deshalb danke an Mutter Natur, der fröhlichen Gruppe und unserem Bergführer, der uns einen Tag beschert hat, an den ich immer gerne zurückdenken werde.

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2 Comments

  1. Ruth Recher

    Anneliese, diese Wanderung die wäre genau nach meinen Vorstellungen, Natur, Bäume, traumhaft. Beim lesen kann ich alles riechen und fühle mich fadt dabei…

    1. Agnese

      Es sieht so aus als hätte ich dich in Gedanken mitgenommen.

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