Eine Olivenernte: Pflanzenbeschreibung


1. Sonntag

Anfang November: Wenn es nicht regnet beginnen wir heute mit  der Olivenernte! Da es kalt aber trocken ist, melde ich mich begeistert pünktlich um zehn Uhr an meinem neuen Arbeitsplatz, d.h. im Olivenhain, der „Feld“ genannt wird. Drei Männer sind schon am Werk.  Auf gut gesicherten, an die oberen, starken Äste der Olivenbäume gebundene Leitern ernten sie von Hand Oliven. Sie lassen sie auf unter den Bäumen ausgebreitete Netze fallen, wo sie dann von den Frauen und Kindern einsammelt werden.

Sie sind es auch, welche die Oliven von den abgesägten Ästen zupfen. Dann  ziehen sie die Netze zusammen und häufen so Oliven und Blätter auf. Schließlich werden sie verlesen und in die bereitgestellten Kisten geschichtet.  Dieses Aussortieren ist wichtig und will gelernt sein. Einerseits lassen zu viele Blätter das Öl bitter schmecken und können den reibungslosen Arbeitsablauf in der Ölmühle beeinträchtigen. Andererseits sind sie zum Teil für die typisch grüne Farbe des Öls verantwortlich, die Viele besonders lieben.

 

 

Wir haben gerade den ersten Baum abgeerntet als starker Wind aufkommt, der tiefschwarze Wolken mit sich bringt, die nichts Gutes verheißen. Weiter auf den Bäumen zu bleiben ist gefährlich, denn erfahrene Olivensammler wissen, dass die Äste ohne vorwarnendes Geächze abbrechen können.

Damit wir nicht den ganzen Tag verlieren beschließen die Männer, den größten Teil der Netze unter den Bäumen auszubreiten. Wichtig ist sie gut zu befestigen, damit  der Wind sie nicht davon bläst. Bevor sie ans Werk gehen, beauftragen die Männer mich damit, die auf dem Boden liegenden Oliven aufzulesen. Es handelt sich dabei um eine mühsame Arbeit die aber anscheinend wichtig ist und so oder so getan werden muss. Der Hain ist leicht geneigt und eines der ersten Dinge die ich lerne ist, die Oliven in kniender, bergaufwärts gebückter Haltung einzusammeln und nicht umgekehrt, weil die Knie so weniger strapaziert werden. Wie winzig sie doch sind, die kleinen Früchte. Vor allem aber wie gut verstecken sie sich im Gras, unter den Blättern und zwischen den feuchten Erdklumpen…

 

 


Ich sehe mich um. Es wäre eigentlich keine schlechte Idee etwas mehr über die Weggefährten der nächsten  Sonntage in Erfahrung zu bringen. Leider habe ich absolut keine Beziehung zum
Olea europea sativa, so steht es in dem von mir konsultierten Lexikon. Er ist nicht majestätisch wie eine Tanne. Die Äste laden nicht dazu ein, auf ihnen herum zu klettern und noch weniger, auf ihnen ein Baumhaus zu bauen. Der Stamm ist nicht dick, robust und Vertrauen einflössend wie der einer Eiche. Die Blätter duften nicht, die Blüten sind klein, von unscheinbarerer, weiß/grünlicher Farbe. Mit den Früchten kann man keine Figuren und Tiere basteln wie mit Kastanien oder Eicheln.

 

 


Diese Erinnerungen lassen den Baum nicht sympathischer werden, aber ich versuche, unvoreingenommen zu bleiben. Die Olivenbäume um und herum sind von mittlerer Größe, nur selten überschreiten sie drei, vier, manchmal fünf Meter. Hier und da kann man jedoch auch Exemplare sehen, die fast zwölf Meter sind. Die Besitzer von Olivenhainen halten die Bäume in der Regel kurz, um die Ernte zu erleichtern, was ich gut verstehen kann, denn die fast zerbrechlich aussehenden Äste laden wirklich nicht dazu ein, auf ihnen herumzuklettern. Der Olivenbaum gehört zu den  immergrünen Pflanzen. Wenn ich sehr genau wäre müsste ich darauf hinweisen, dass er gar nicht grün ist. Die Beschreibung bezieht sich natürlich nicht auf die Farbe der Blätter, sondern darauf, dass er nie ohne Blätter ist. Sie sind weiß/silbern und mit winzigen Härchen, den sogenannten Sternhaaren bedeckt. Diese Härchen schützen den Baum vor dem Austrocknen indem sie das aus den Spaltöffnungen austretende Wasser wieder einfangen und dem Blatt zuführen. Die Blätter fühlen sich auf der Unterseite effektiv samtig an.

 

 

„Schläfst du“? höre ich  eine Stimme hinter mir fragen. Einer der Männer auf einem Olivenbaum in meiner Nähe lacht.

„Nein“, antworte ich, „ich wollte mir nur die Blätter genauer ansehen“.

„Weißt du, warum der Baum in kalten Ländern nie erfolgreich angebaut werden konnte?“

„Warum sagst du es mir nicht?“ antworte ich lachend.

„Weil er ganz bestimmte Wärmebedürfnisse hat. Während sich die Olivenblütenknospen bilden, darf die Temperatur nicht unter zehn Grad Celsius sinken sonst kann man im Mai/Juni die in üppigen, traubenförmig wachsenden, kleinen, weißgrünen Blüten nicht bewundern. Im Sommer, wenn sich die Früchte bilden, braucht der Baum mindestens fünfzehn Grad. Nicht weniger als zwanzig hingegen während des Reifeprozesses, wenn die Oliven sich zuerst grün, dann gelb und schließlich dunkelviolett färben.  Fünfzehn Grad ist die beste Temperatur zum völligen Ausreifen der Früchte. Je nach Gegend ist das von November bis März der Fall. Hier bei uns in der Toskana geschieht das um Oktober/November und wir sind auch effektiv zum Oliven ernten hier.

 

 


Der Baum  verträgt auch winterliche Temperaturen bis  fünf Grad unter null, die gegen Ende der Erntezeit erreicht werden können. Genau genommen ist er nicht eigentlich Kälte empfindlich. Was ihm zu schaffen macht sind plötzliche Temperaturschwankungen. Ansonsten gedeiht er problemlos auf kargem Boden, braucht wenig Wasser, liebt den Frühlings- und Sommerregen. Kurz gesagt ist es bei euch zu kalt und zu nass.“

„Danke für deine Ausführungen! Interessant, wirklich!“

„Gern geschehen! Wir Einwohner  der Mittelmeerländer  haben eine ganz besondere Beziehung zum Baum, die ihr Nordländer nicht verstehen könnt“, fährt er fort. „Für uns ist er Symbol für Weisheit, Schönheit und Redlichkeit. Mit Olivenbäumen und Wasser haben wir alles, was wir brauchen. Schatten im Sommer, Brennholz im Winter, nahrhafte Früchte,  Öl zum Kochen und zum Beleuchten. Das ist vielleicht nicht ganz realistisch (das ist es in der Tat nicht!), vermittelt aber doch eine Idee.

 

 

Auch in der Sintflut hat der Olivenbaum eine bemerkenswerten Rollet gespielt. Nach endlosem Regen ließ Noah  eine Taube fliegen, die Land finden sollte. Beim ersten Flug fand der Vogel Nichts, worauf er hätte landen können. Beim zweiten Versuch kam er mit einem frischen Olivenzweig im Schnabel zurück und verkündete damit das Ende der Sintflut. Wenn du nächstes Mal nach Florenz fährst und etwas Zeit hast, besuche den Chiostro Verde von S. Maria Novella und sieh dir das Fresko „Sintflut“ von Paolo Uccello (1397-1475) an. Er hat die Szene in seinem Werk festgehalten“.

 

 

Werd’ ich tun“.

Das Eis ist gebrochen und jemand anders erklärt mir, dass es verschiedene Olivensorten gibt. Sie werden generell in drei Gruppen unterteilt, d.h. Oliven zur Herstellung von Öl, zum Einlegen und beiderlei verwendbare Oliven. Die Olive, oder Steinfrucht, ihre botanisch korrekte Bezeichnung, kann zwar je nach Sorte Unterschiede in Größe und  Eigenschaften aufweisen,  besteht jedoch immer aus Schale (Esokarp), Fruchtfleisch (Mesokarp) und  holzigem Kern (Endokarp), der den Samen enthält.

 

 

Das Öl bildet sich während des Reifeprozesses der Olive. Sie enthält am meisten Öl, wenn die Frucht die intensivste Färbung aufweist, d.h. kurz bevor sie völlig ausgereift ist.  Das Fruchtfleisch enthält dann bis zu siebzig Prozent pflanzliches Fett und der Stein die verbleibenden dreißig Prozent. Vor Erreichung dieses Reifegrades enthalten die Oliven kein Öl, sondern eine Mischung aus organischen Säuren und  Zucker. Wenn die Steinfrüchte erntereif sind, enthalten sie durchschnittlich  50% Wasser, 20-24% Öl,   20% Zucker,   6% Zellulose, 1.5% Proteine und 1,5% Asche.

 

 

Der Reifegrad während der Ernte ist ausschlaggebend für die organoleptischen Eigenschaften des Öls.  Zusammen mit dem Ernteverfahren, dem Transport und der Zeit die vergeht, bis die Oliven ausgepresst werden, bestimmen sie die Güte des Endproduktes. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass die zum Verzehr bestimmten Steinfrüchte größer sind als die, aus denen man Öl gewinnt. Bei den Ersteren ist das Verhältnis Fruchtfleisch/Kern definitiv höher als bei den Steinfrüchten zur Ölgewinnung. Wir hier im Olivenhain sammeln die Sorten Frantoio, Leccino, Moraiolo und Pendolino, die traditionsgemäß seit Jahrhunderten in der Toskana angebaut werden und in unserem Fall sowohl zur Ölgewinnung als auch zum Einlegen dienen, wobei dies – im Gegensatz zu dem was ich oben geschrieben habe –  dadurch geschieht, dass einfach unbeschädigte Früchte, unabhängig von Farbe, Reifegrad und Größe der Oliven aussortiert und dann eingelegt werden.

Irgendwie fühle ich mich in meine Schulzeit zurückversetzt, andererseits bin ich  Anfänger und was ich gelernt habe, ist wirklich interessant.  

Der Tag neigt sich dem Ende zu.  Das Wetter verschlechtert sich zusehends, es wird dunkel, der Wind bläst immer stärker und die Wolken ziehen  mit beeindruckender Geschwindigkeit über unseren Köpfen hinweg.  Meine Füße fangen an kalt zu werden, die Hände auch, vor allem die Fingerspitzen. Es wird  Zeit nach Hause zu gehen. Im Laufe des Tages haben sich leichte Rückschmerzen eingestellt, die es mir am Ende dieses ersten Erntetages fast unmöglich gemacht haben, von einer gebückten in  eine aufrechte Stellung zurückzufinden.

 


Zu Hause angekommen wird mir bewusst, dass ich fast kein Gefühl mehr in den Beinen habe. Leider kann  auch eine lange, heiße Dusche daran nichts ändern. In der Zwischenzeit ist mir klar geworden, warum mich die Leute, die von meinem Vorhaben, an einer Olivenernte teilzunehmen, wussten, mitleidig angesehen haben. Jetzt verstehe ich auch, warum so viele Familienmitglieder an diesem Sonntag anderweitig zu tun hatten.

 

Ich komme nicht umhin mich zu fragen, warum mir der Tag trotz Allem so gut gefallen hat. Könnte es der Kontakt mit den Toscanacci gewesen sein, diesen  schlagfertigen, redegewandten Latinos mit ihren feinen aber scharfzüngigen Bemerkungen, die nicht jedermanns Kost sind, und sich so grundlegend  von meinem etwas steifen, tiefsinnigen und wortkargen, zur Schwermut neigenden Volkes unterscheiden? Diese Gedanken erinnern mit an meine Wurzeln und ich frage mich, was ich in einem Olivenhain zu suchen habe. Wo sind die Tannen und Eichen meiner Heimat?

 

 

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2 Comments

  1. Ruth Recher

    Wunderschön erzählt Danke für die vielen Infos!

    1. Agnese

      Schön, dass die Artikel nützlich sind. Es kommen noch sechs weitere, danach hat die Welt der Oliven keine Geheimnisse mehr….

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